Indien verstehen

Als wir unsere Reise vor einigen Monaten “geplant" haben und zu dem Entschluss kamen, in Indien zu starten, ist uns von Anfang an klar gewesen, dass alles was danach kommen wird nur noch besser werden kann. Indien ist alles andere als ein leichtes Reiseland, der Kulturschock ist immens und die Nerven werden hier tagtäglich auf eine harte Probe gestellt. Um hier reisen zu können, braucht man einiges an Vorwissen und Informationen, um vieles hier besser verstehen zu können. Natürlich hatten wir uns vorher kaum informiert und uns daher auch oft gewundert, warum und weshalb die Inder denn jetzt so reagieren oder handeln. Wir waren aber nicht nur an ihrem Verhalten genauer interessiert, sondern wollten auch mehr über ihre Kultur und Religion wissen. Kindle sei Dank, landete das Buch „Reise Know-How - Kulturschock Indien“ nach ein paar Wochen Umherreisen schließlich in Natzes Schoß und schon fiel es uns viel leichter, gewisse Situationen nachzuvollziehen. Hier ein kleiner Einblick in dieses riesengroße Land der Extreme:

Das erste, was uns besonders auffiel, war, dass uns die Inder, egal wo wir waren, permanent anstarrten, Fotos machten (mal heimlich, mal gemeinsam) oder einfach beim Vorbeilaufen ein „Hi“, „Where are you from?“ oder „How are you?“ von sich gaben. Zu Beginn fanden wir das super freundlich und freuten uns, wie mega nett die Inder doch zu sein scheinen. Doch wenn du an einem Tag gefühlte hundert Mal diese Fragen hörst, geht es dir nach ein paar Wochen ganz schön auf den Sack, ständig im Mittelpunkt zu stehen. Wir haben schnell gelernt: ja die Inder sind freundlich und super neugierig. Gerade mal 1% der Bevölkerung kann es sich leisten, ins Ausland zu reisen und daher sind sie sehr gespannt, was der Tourist aus dem weit entfernten Land zu erzählen hat. Zwar sollte man meinen, dass hier alle durch den Kolonialeinfluss gut Englisch sprechen können, doch das ist leider Wunschdenken. Die einzigen Sätze, die die meisten von sich geben können sind die drei oben genannten - und da hört es dann leider auch schon wieder auf mit der Kommunikation.

 

Doch das Ansprechen ist noch super harmlos. Schwieriger ist es eher mit dem ständigen angeglotzt werden. Da weiß man jetzt mal, wie es sich als VIP so lebt :-D Sicher kommt das oft daher, dass sie neugierig auf uns „Westler“ sind. Meistens erlebten wir das eher wegen Natze, die durch ihre Tattoos, ihre Körpergröße und ihre blonden Haare die Aufmerksamkeit auf sich zog und auch mitunter unangenehmere Erfahrungen machen musste: Egal wo sie entlang lief, gab es unverhohlene Pfiffe und penetrante Anmachen. Eine laute Ermahnung führt wegen der Stellung der Frau in Indien nur noch zu mehr Interesse oder zu Gelächter. Es zu ignorieren liegt nahe, doch auch das geht nach einiger Zeit an die Substanz, trübt die Atmosphäre und wirft ein leicht negatives Bild auf das doch so schöne Indien. Natze fühlte sich dadurch in ihrer Freiheit eingeschränkt und wollte schlussendlich nirgends mehr hingehen, wo es viele Menschen bzw. Männer gab. Dass damals mal eine Hand in der Metro von Delhi am Po landete, war nur der Anfang und wurde noch mit Humor genommen. Deutlich mehr schockiert und sprachlos waren wir, als sich ein Typ auf der Zugfahrt von Mumbai nach Goa ihr gegenüber setzte, seine Hose öffnete und schamlos, ja wie selbstverständlich anfing, sich vor ihr einen runter zu holen. Als sie in Calangute (Goa) im Bikini am Strand lag und an dem einsamen Strandabschnitt plötzlich zig Inder vorbeistreiften und anfingen Bilder von ihr zu machen, riss der ohnehin dünne Geduldsfaden und der völlig überraschte Voyeur musste als Ventil für alles vorher geschehene herhalten.

 

Das Thema, warum die Inder so „krass“ auf westliche Frauen reagieren ist sehr komplex. Dazu müssen wir etwas weiter ausholen:

 

Das Thema Sex ist in Indien Tabu. Laut der Hindu-Lehre schwächt Sex die Lebensenergie des Mannes. Ein „sinnloser“ Samenerguss würde seine Lebenskräfte auszehren und die Spiritualität gefährden. Da das Leben hier stark von Religion geprägt ist, glaubt der Hindu fest daran, dass der „behaltene“ Samen in geistige Energie umgewandelt wird, den er für sein höchstes Ziel, die Vereinigung mit Gott nach dem Tod und seine Wiedergeburt, benötigt. Selbst in der Schule ist der Aufklärungsunterricht verboten! Jeglicher Körperkontakt zwischen Mann und Frau in der Öffentlichkeit wird sofort mit Sex in Verbindung gebracht; so sieht man auch kein indisches Paar, welches sich küsst, geschweige denn Händchen hält. An den Händen halten sich hier nur die Männer - das bedeutet aber nicht, dass sie schwul sind, sondern ist ein Zeichen für ihre tiefe Freundschaft, bzw. Verbundenheit. Wir haben es also genauso gehandhabt und unsere Zuneigung so gut es ging öffentlich verborgen. Auch das war oftmals anstrengend, weil es doch mal Momente gab, in denen man den anderen in den Arm nehmen oder küssen wollte. Wenn wir das doch mal kurz vor den Indern getan haben (und diese Situationen können wir an einer Hand abzählen), wurde sogar von erwachsenen Männern neben uns auf kindliche Art und Weiße gekichert und gelacht. Aufgrund dieser Tabuisierung des Themas wird der Reiz dadurch natürlich erheblich gesteigert und die Gedanken der Inder kreisen ständig um Sex - selbst in Situationen, in denen in unseren Augen keiner zu finden ist.

 

Des weiteren gelten westliche Ausländer als unmoralisch, sollen dem Alkohol verfallen sein, rauchen und sind sexbesessen. Und leider tragen indische Kinofilme einen großen Teil zu diesem Bild bei, denn in diesen werden die "Weißen" genauso dargestellt.

Auch kleiden sich die Frauen in den indischen Augen „freizügig“, weil sie Knöchel und Schulter zeigen und manchmal Ausschnitt tragen. Daher denken die meisten Inder, dass sie auf eine Anmache aus sind und behandeln diese dementsprechend herablassend. Sie nehmen an, dass Kniffe in den Hintern bei uns normal wären. Die aufgestaute Energie entlädt sich somit beim Anblick westlicher Frauen, zumal diese sexuell deutlich besser im Bilde sind als die Inderinnen, die oftmals bis zu ihrem ersten Mal nach der Hochzeit von „Tuten und Blasen" keine Ahnung haben. (Wir wollten perverse Anspielungen eigentlich vermeiden, aber es ist hart. Sehr hart. ;P)

Indien ist in Sachen Sexualität also einerseits erzkonservativ und wenig aufgeklärt, hinzu kommt noch die schlechte Bildung (nur 74% können Lesen und Schreiben, davon wiederum nur rund 65% der Frauen) und auf der anderen Seite ist es ständigen sexuellen Reizen durch die Medien ausgesetzt. Jetzt argumentiert man natürlich, dass sie doch einfach nur ins Internet gehen müssten, um jede Form von Pornografie finden zu können. Ja, das schon und das werden sie auch sicherlich tun. Doch das alles ständig nur digital zu sehen und nie analog selbst auszuprobieren, bringt den Korken schon mal zum Platzen. Die nächste Riesenhürde auf dem Weg zur sexuellen Erfahrung sind die extrem engen Wohnungsbedingungen:

Die indische Familie lebt meist unter einem Dach. Viele Großfamilien (und davon gibt es bekanntlich viele) haben nur ein einziges Schlafzimmer; da befinden sich dann die Eltern, Kinder, Großeltern und oftmals sogar noch ein Onkel oder eine entfernte Cousine direkt neben einem. Aufgrund der allgemeinen Geldnot ist es nicht üblich, dass ausgezogen wird, doch auch bei mittelständischen Familien hat sich die Haltung zur Sparsamkeit so eingenistet, dass es als Verschwendung angesehen wird, wenn der Sohn eine eigene Wohnung beziehen möchte. Einzig und allein die Frau zieht standesgemäß zu ihrem frischvermählten Mann und seiner ganzen Sippschaft. Wenn dann der schnarchende Opa aber direkt neben einem schläft, gibt es schonmal Probleme mit dem Stehvermögen. Da aber trotzdem ein Nachkomme erwartet wird, muss das dann eben sehr schnell und ohne viel Leidenschaft über die Bühne gehen.

 

Aufgrund dieses Umstandes konnten wir uns nun auch erklären, warum die Inder ständig und überall schlafen können. Sie liegen direkt neben den Gleisen, einer vielbefahrenen Hauptstraße oder sogar auf einer 10 Meter hohen Mauer in einem todesähnlichen Tiefschlaf.

 

Wir wurden vor allem in Rajasthan ganz oft gefragt, ob Natze die Ehefrau von Domi sei oder ob wir verheiratet wären. Nach kurzer Zeit haben wir sehr schnell festgestellt, dass dies für einen Inder neben Geburt und Tod wohl das bedeutsamste Ereignis im Leben ist und so haben wir dann auch oft zu einer kleinen Notlüge gegriffen, um Diskussionen und verständnislosen Fragen aus dem Weg zu gehen. Vor allem, wenn man um die 30 Jahre und noch unverheiratet ist erntet dies oft Unverständnis. Wir haben heraus gefunden, dass die Heirat in der Tat eine wichtige Rolle im Leben der Inder spielt, denn diese läutet ein neues Lebensstadium ein. Wer jetzt aber glaubt, dass aus Liebe geheiratet wird, der irrt. In Indien werden die Ehen immer noch arrangiert. Unterhält man sich mit Indern darüber, prahlen sie natürlich mit der niedrigen Scheidungsrate. Die kommt aber nicht daher, weil das System funktioniert, sondern weil Scheidungen verpönt sind und man dafür sozial geächtet wird. Geheiratet wird natürlich nur innerhalb der eigenen Kaste (es gibt insgesamt vier große und tausende kleine Unterteilungen), alles andere ist verboten, da sich das Blut sonst verunreinigen würde. Um einen idealen Partner zu finden werden meistens die Geburtshoroskope verglichen. Astrologie, Magie, Wunderheiler, Gurus und Aberglaube gehören in Indien fest mit der Religion zusammen. Stehen die Sterne günstig, kann über die Mitgift verhandelt werden. Diese ist genauso wie die ganze Hochzeitsfeier von den Brauteltern zu zahlen und diese Mitgift beginnt ab rund 100.000 Rupien (~ 1400€), wofür die meisten von Geburt des Mädchens an sparen müssen. Für die Unterschicht sind diese Summen einem beinahe-Ruin gleichzusetzen.

In Jaipur haben wir einen Inder in unserem Alter beim Abendessen kennen gelernt, der uns erzählte, dass aufgrund dessen eine Mädchengeburt in den meisten Familien keine Begeisterung auslöst. Nur die gut verdienende Mittelklasse und die reiche Oberschicht begrüßen eine Mädchengeburt genau wie die eines Jungen. So kommt es, dass auch heute noch viele Mädchen abgetrieben werden, obwohl dies natürlich eigentlich verboten ist. Er erzählt uns sogar die haarsträubenden Geschichten von Hebammen, deren nicht selten vorkommende Aufgabe es ist, Mädchen von Müttern, die sich keine Abtreibung leisten können, direkt nach der Geburt zu ersticken und es wie einen Unfall aussehen zu lassen! Jungs werden bevorzugt, da sie später einmal arbeiten gehen und die „Ernährer“ der Familie werden und Mädchen sind ein reiner Kostenfaktor. Eine Studie hat ergeben, dass die Mädels drei Mal mehr an Eiweißmangel leiden als gleichaltrige Jungs, da sie weniger Pflege und Essen bekommen. Obwohl die Mädchen bei der Geburt stärker als die Jungs sind, sterben im Alter bis zu 9 Jahren 60% mehr Mädchen. Aufgrund dieser Tatsachen gibt es in Indien einen deutlichen Männerüberschuss. Auf 1000 Männer kommen in ländlichen Gebieten gerade einmal 700 Frauen. Die Männer werden von ihren Müttern bis aufs Kleinste verwöhnt und getätschelt. Oft haben wir gesehen, wie diese kleinen Paschas das Zentrum der Familie sind und so viel Aufmerksamkeit wie nur möglich bekommen und nie ein „Nein“ hören. Wir erinnern uns da an eine Situation, die wir im Zug beobachtet haben: Ein gerade einmal 4-jähriger Junge wurde von seiner Mutter gefüttert. Als er fertig war, hat sie ihm die Hände gewaschen und wollte ihm den Mund ausspülen. Dieser hatte jedoch noch etwas im Mund und drohte ihr mit der flachen Rückhand, woraufhin sie zurück schreckte. Der Kleine wiederholte dies, fand es lustig und sogar der Vater hat darüber nur gelächelt. Wir fanden das aber alles andere als spaßig und eher respektlos. Dies ist nur einer von vielen Momenten, die wir gesehen haben und die Stellung des Jungen bzw. Mannes deutlich macht. Da sie mit so viel Liebe überschüttet werden, werden sie emotional impotent und unfähig, später einmal selbst Liebe zu geben. Auch das können wir voll und ganz bestätigen, die Männer in Indien sind richtige Paschas, Gentlemen findet man hier so gut wie nicht und wenn es nicht direkt nach ihrer Nase geht, verhalten sie sich wie kleine Kinder. Natürlich werden die Jungs in dem Mittelpunkt gestellt, sie werden später der Kopf des Clans.

Auch so etwas wie eine Rente gibt es in Indien nicht. Daher ist es hier normal, dass man vier oder mehr Kinder zur Welt bringt, natürlich bevorzugt Buben, da sie eine finanzielle Sicherheit bieten. Wegen der hohen Kindersterblichkeit werden oftmals auch mehr Kinder als nötig gezeugt, die dann auch schon von klein auf Geld verdienen müssen. Zu oft haben wir arme Kinder gesehen, die als Tellerwäscher oder Schuhputzer arbeiten, oder im Zug den "Kasper" für die Insassen spielen, um ein paar Rupien einsammeln zu können. Aufgrund des großen Nachwuchses steigt die Zahl der Bevölkerung enorm. Momentan wird Indien auf rund 1,21 Mrd. Einwohner geschätzt, die Dunkelziffer liegt wohl weitaus drüber. Vor rund fünf Jahrzehnten waren es noch ein Drittel weniger. Und das, obwohl die Lebenserwartung hier bei gerade einmal Ende 60 liegt!

Ein anderer Grund für diesen rasanten Wachstum ist aber auch, dass kaum jemand etwas über die Empfängnisverhütung weiß, wie oben schon gesagt, ist das Thema Sex ja tabu. Von dem Ergebnis einer Studie, die wohl immer wieder für einen Lacher gut sein wird, haben wir ebenfalls in unserem Buch gelesen: Im Rahmen einer Aufklärungsmission machten sich einige indische Ärzte zur Aufgabe, die abgelegenen ländlichen Gebiete im Nordwesten Indiens zu bereisen und dort über die Anwendung von Kondomen zu erzählen. Nun, die religiöse Hürde, die es zu bewältigen galt, war die unumgängliche praktische Vorführung des Überziehens, da sogar blumige Umschreibungen für heillose Empörungen und Erregung der Gemüter sorgten. So bediente man sich einfach eines Ärzte-Daumens und sah die Mission als erledigt an. Als nach einigen Jahren die Geburtenrate unverändert blieb, reiste man wieder in die besagten Gegenden, um der Sache auf den Grund zu gehen. Es wurde beteuert, man habe wirklich viele Verhüterlis genutzt, aber es scheine nichts gebracht zu haben. Auf die Frage, ob man es denn richtig gemacht hätte, wurde beteuert, man habe sich bei jeder Form von Geschlechtsverkehr, wir ahnen es bereits, immer ein Kondom über den Daumen gezogen! Wir danken diesem ambitionierten Ärzte-Team, dass sie keine Bananen verwendet haben – es wäre nur der halbe Spaß gewesen!

 

Bei so vielen Menschen in einem Land ist es nicht verwunderlich, dass es hier immer hektisch ist, laut zu geht und man immer und überall Leute sieht. Die Umwelt leidet darunter auch extrem. Es gibt eigentlich so gut wie keine Stelle, die nicht zugemüllt ist. Nicht nur in den Städten konnten wir das beobachten, sondern auch entlang der Zugstrecke, wo weit und breit kein Dorf zu sehen ist, säumt sich der Müll parallel zu den Gleisen. Plastikflaschen, Servietten, Chipstüten und Pappteller werden einfach aus dem fahrenden Zug geschmissen. Die Inder betrachten den öffentlichen Raum als ihren „eigenen Raum“, mit dem man anstellen kann, was man will. Es lehrt sie als kleines Kind ja auch niemand, dass man das nicht darf. Die Hindus sind so sehr mit ihrer spirituellen und körperlichen Reinheit (sie waschen sich zwei Mal pro Tag) beschäftigt, sodass sie sich nicht auch noch Gedanken um den tatsächlichen Müll machen wollen. Hauptsache es ist alles außerhalb der eigenen vier Wände. Hinzu kommt, dass sich die Behörden auch nicht wirklich zuständig fühlen den Dreck zu beseitigen. Einerseits ist es zu teuer und andererseits sind es einfach zu viele Menschen, um dieses Problem in den Griff zu bekommen. Gerne erinnern wir uns hier an eine Situation in Delhi: Wir hatten beide eine leere Wasserplastikflasche in der Hand. Bei einem Straßenhändler besorgten wir uns eine neue und auf die Frage, wohin wir die leere denn schmeißen könnten und ob er einen Abfalleimer hätte, deutete er nur auf die Straße. Dies taten wir natürlich nicht! Dafür ist unsere Hemmschwelle doch zu groß und wir stellten sie an den Rand eines Gehwegs, da wir nirgends einen Abfalleimer ausmachen konnten. Das blöde Gefühl blieb aber.

Aber es riecht nicht nur nach Müll, sondern auch ordentlich nach Ammoniak, da die Inder an jegliche freie Stelle urinieren. Öffentliche Toiletten sind Mangelware, die haben wir nur in Delhi gesehen, wobei dies auch eher ein freistehendes Pissoir, abgeleitet in die Abwasserrinne am Straßenrand, war.

 

Wenn man nach Indien reist, sieht man überall Hakenkreuze. Kenner wissen, es ist ein uraltes indisches Zeichen, das „Swastika“, welches für Glück und Gesundheit steht und wurde von Hitler für seinen Wahnsinn missbraucht. Es ist das wichtigste Zeichen gleich nach dem „Om“. Die Inder wissen, dass Hitler dieses Zeichen benutzt hat und glauben größtenteils noch heute, dass er ein verkappter Hindu war. Das wahnwitzige daran ist vielmehr, dass sie ihn doch tatsächlich bewundern, weil sich so ein „kleiner“ Mann mit der ganzen Welt angelegt hat und die Engländer das Fürchten gelehrt hat. Die Inder verstehen nicht, warum wir Deutsche so schlecht auf „Germany's greatest man“ zu sprechen sind und ein Anreden dagegen ist ein sinnloses Unterfangen. Nationalstolz wird in Indien groß geschrieben und wenn man als Deutscher Lobesreden über einen so großartigen Deutschen ächtet... ohje, dann doch lieber kurz lächeln und es gut sein lassen.

 

Trotz des permanenten Ansprechens, der andauernden Herkunftsgespäche und des restlichen „Stresses“ drumherum ist Indien auf jeden Fall ein schönes Land und es gibt auch hier Ecken, wo man richtig entspannen kann (z.B. Südgoa oder Hampi). Irgendwie sind wir doch auch froh diese Erfahrungen, auch wenn sie nicht immer leicht waren, gemacht zu haben. Wir bewundern diese Kultur, wie sie aus den gegebenen widrigen Umständen das Beste macht und, wie wir schon einmal gesagt haben, in dem ganzen undurchsichtigen Chaos eben doch ein funktionierendes System zu haben scheint. Die Menschen selbst sind mit so einer unerschütterlichen mentalen Stärke gesegnet, dass sie es fertigbringen, die heftigsten Schicksalsschläge ohne zu meckern hinzunehmen, da ihr Glaube es ihnen ganz platonisch erklärt: es muss eine schlimme Tat der vorherigen Inkarnation des Ichs gewesen sein, für die sie nun Buße tragen müssen. Indien bringt einen dazu, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Die krassen Gegensätze und die vielen Unterschiede zur deutschen Kultur bringen einen oft an seine emotionale Grenze. Man wird dazu gezwungen, sich mit seiner Einstellung zu vielen Dingen näher zu beschäftigen, ob man will oder nicht. Bevor wir in dieses Land gereist sind, hatten wir auf unserer „To-do-Liste“ stehen: „Ruhe und Gelassenheit von den Indern lernen“. Dies hatten wir uns jedoch irgendwie anders vorgestellt. Doch im Nachhinein erkennen wir, dass wir genau das unterbewusst aus den vielen Erfahrungen mitgenommen haben, da man andernfalls einfach nur noch Aggression empfinden würde und es meistens sinnfrei ist, sich über die gegebenen Dinge aufzuregen.

Was wir aus Indien noch mitnehmen:

1. Der Verkehr wird per Lautstärke geregelt, wer die lauteste Hupe besitzt, hat Vorfahrt. Dezibel-Obergrenze gibt es hier nicht. Wie wir auch schon wissen, für Fußgänger wird nicht gestoppt, da heißt es „Lauf!“. Und: Stau heißt nicht, dass man nicht trotzdem vorbeifahren kann. Irgendwo ist immer eine Lücke. Zwei Fahrspuren nebeneinander bedeutet, es passen mindesten drei Autos hin. Auf einem Roller ist genug Platz für vier Erwachsene und ein Bus ist niemals zu voll. Aus dem vorherrschenden Linksverkehr wird manchmal auch ein Rechtsverkehr, eben gerade da, wo es sich anbietet. Vielleicht deswegen weil Inder gut vorausschauend fahren können? Pustekuchen. Das Ventil der indischen Ungeduld ist der Verkehr und der mit Abstand lustigste Beweis findet sich an Bahnübergängen: Sobald sich die Schranken unten befinden, werden alle Spuren beidseitig genutzt, um als Erster starten zu können. Sobald sich diese dann heben, heißt es „ACTION!“ und das funktioniert auch ganz gut, zumindest für zwei Meter. Dann kann es schon mal vorkommen, dass die Polizei eingreifen muss, um den Tumult zu lösen. Es wird nämlich generell lieber gehupt, als sich rückwärts zu bewegen. Übrigens ist die „kleine“ Zahl der Verkehrstoten von 120.000 Menschen (0,1% der Bevölkerung) im Jahr ein Beweis für die Existenz Gottes für viele Hindus – sie könnte bei diesem Chaos auf den Straßen ja weit höher liegen.

 

2. Essen ohne Besteck können wir jetzt auch. Sogar Chapati (indisches Fladenbrot, das zum Aufgabeln verwendet wird) können wir allein mit der rechten Hand teilen, da die linke beim Essen nicht benutzt werden darf.

 

3. „Außen pfui, innen hui“: In die meisten Restaurants, in denen wir gegessen haben, hätten wir in Deutschland wohl nie einen Fuß gesetzt. Doch hier haben wir gelernt, dass die Lokale, die am schäbigsten aussehen, mitunter das beste Essen servieren.

 

4. Rülpsen, Pfurzen oder lautes Rotzen, bzw. Ausspucken, ist hier Gang und Gebe und keine Unsitte. Es dient dem Inder zur inneren Reinigung.

 

5. Plumpsklos sind in Indien die Norm und auch wir haben uns daran gewöhnt und westlichen Toiletten abgeschworen.

 

6. Wenn die Inder sagen, dass der Bus oder Zug kommt, dann kommt er auch. Wenn auch mit Verspätung, aber er kommt. Ein Nein gibt es hier nicht, oder kennen sie einfach auch nicht. Man findet immer einen Weg.

 

7. Egal wo man ist, man ist niemals allein. Inder sind Herdentiere und immer im Rudel unterwegs. Alleine chillen auf der Parkbank?! Sofort gesellt sich ein Inder zu dir, da er glaubt, dass du dich alleine fühlst und dir Gesellschaft leisten will.

 

8. Fixe Preise gibt es nicht, morgen ist der Preis wieder ein ganz anderer als noch vorgestern. Da heißt es jedes Mal aufs Neue strikt verhandeln und niemals mehr als die Hälfte des zuerst genannten Preises bezahlen.

 

9. Wir haben viele neue „friends“, „sisters“ und „brothers“ durch unsere Reise hinzugewonnen ;) Ein Angebot mit „Sir“ oder „Madam“ starten ist die Seltenheit und fast schon zu höflich.

 

10. Die meisten Inder sind ihr ganzes Leben lang Alkohol-Abstinenzler und wenn sie doch mal in Goa sind, dann lassen sie es so richtig krachen.

 

11. Höflichkeitsfloskeln à la „Thank you“ sind den Indern fremd. Mit so etwas halten sie sich nicht auf und man bekommt nur selten ein Lächeln. Auch ein „Sorry“ wäre bei dem ständigen Anrempeln auf Dauer nur ermüdend.

 

12. Indisches Essen ist stark regional und saisonal geprägt, es gibt kein perfekt aussehendes Hybridgemüse/ -obst wie in den genormten EU-Supermärkten. Schmeckt uns aber umso besser. Was man nicht alles aus Kohl, Auberginen, Gurke, Rettich und Kartoffeln machen kann!

 

13. Scharf essen ist jetzt kein Problem mehr. Tabasco schmeckt jetzt eher wie Ketchup und eine Chili ist auch mit einem Haps verspeist.

 

14. Zwar beherrschen wir noch nicht den todesähnlichen Tiefschlaf, doch wir sind gute Schüler. Mittlerweile können wir in fast jeder Position, in den ruckeligsten Bussen und den lautesten Zügen schlafen.

 

15. Am Ticketschalter, beim Einsteigen in den Bus oder im Supermarkt an der Kasse kommt nicht der als Erstes dran, der zuerst da war. Wer sich brav in die Schlange einreiht und wartet bis er dran kommt, wird da wohl noch ein paar Stunden stehen bleiben. In Indien gilt: Derjenige mit dem größten Ellbogeneinsatz kommt zuerst ans Ziel. Ermahnt man besonders dreiste Zeitgenossen aber, tippeln sie schuldbewusst wieder zurück in ihre Ausgangsposition.

 

16. Es geht auch ohne Aggression! Angefangen bei Gesprächen, gilt derjenige als überlegen und besonders gerissen, der flink diskutieren kann. Wortgewandtheit funktioniert hier besser als drohender Unterton in der Stimme, auch wenn man nicht wirklich viel Sinnvolles oder Wahres von sich gibt. Der Eloquente ist gebildet und genießt daher mehr Rechte, ist hier die Devise. Viele sagen, man kann sich in Indien einfach alles „erdiskutieren“, sogar die Polizei sei keine Hürde. Zum Glück mussten wir es nie so weit kommen lassen. Eine Hostelbekanntschaft erzählte uns aber, wie er einem saftigen Bußgeld der Polizei entgangen ist, indem er vorgab, sein Vater würde in einer indischen Botschaft arbeiten und der Beamte möge ihm doch eine genaue Bußgeldquittung mit Namen und Dienstnummer mitgeben.

Natze & Domi



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Kommentare: 1
  • #1

    Nico+Anja (Freitag, 13 Januar 2017 07:50)

    Wieder was gelernt- und die Indienpläne noch weiter hinten angestellt. Umterhaltsam auch euer Resümee- weiter so! :)